Montag, 23. Oktober 2006
Nachtschicht 1
18h45:
Viertel Stunde zu früh. Komme auf die Intensivstation. Sehe die Spätdienstkollegin vor Zimmer 3 auf dem Flur stehen. Daneben der Intubationswagen mit dem Defi drauf. Sorgenvoller Blick in ihren Augen. Der Patient in Zimmer 3 hat MRSA. Jedesmal vermummen bevor man rein kann. Deswegen bleiben alle immer davor stehen. Der Tagdienstkollege ist im Zimmer, hat den Patienten gerade intubiert. Chaos. Druck im Keller, Herzfrequenz über 120. Hatte die Quälerei nicht mehr mit ansehen können. Seit gestern Früh fast ununterbrochen über 40° Fieber. Jetzt dann erschöft. Atemfrequenz bei 50, das hält niemand lange durch. Mein Kollege gibt mir einen kurzen Abriss des Tages. Ist unentschlossen, ob er noch was tun kann, muss, will. Noch ein Blick zurück und das ungute Gefühl unvollständige Arbeit an den Kollegen zu übergeben. Aber 13h am Stück überzeugen dann doch. Hier ist die Arbeit immer unvollständig. Mein Kollege entmummt sich und kommt raus.
"Gehen wir runter?" fragt er.
"Ja", antworte ich.
Auf der Raucherterrasse versucht er mir das Geschehen verständlich zu machen. Montag hatte ich den Patienten problemlos extubiert. Bis gestern alles gut. Die Naht, die seine Speiseröhre zusammen hält ist dicht. Hätte erstaunlicherweise alles gut gehen können. Normalerweise überleben nicht viele Patienten eine Zerreißung der Speiseröhre. Er bisher schon, inklusive Notfall-OP mit dem Blindveschluss und die OP bei der ihm die Speiseröhre wieder zusammengeflickt wurde. Hatte sich erstaunlich gut und schnell von den beiden Zwei-Höhlen Eingriffen erholt. So nennt man OPs bei denen den Patienten sowohl die Bauch- als auch die Brusthöhle eröffnet werden. Jetzt das Fieber. Hoffentlich wirken die Antibiotika rechtzeitig und ausreichend. Isser der MRSA? Ist er aus der Wunde in die Lunge gewandert? Hat er gestreut? Lungenentzündung oder Sepsis? Eigentlich egal. Hoffentlich packt er das. Hoffentlich haben wir mit dem zurückhaltenden Antibiotikaeinsatz nicht verbockt. Haben wir was übersehen? Jetzt heißt es Stabilisieren und Abwarten. Erst mal stabilisieren. Arterenol dran für den Blutdruck. Mit Sedierung ist der mir zu knapp. Über 100 darf's schon sein. Die EVITA spinnt. Wie letzte Woche. zeigt nur kleine Tidalvolumen an und gibt ständig Leckage-Alarm. Hatte ich letzte Woche schon mal. Zum Glück hat die selbe Schwester wie letzte Woche Nachdienst, da brauche ich nicht viel zu erklären. Damals haben wir verzweifelt versucht dem Patient mehr Luft in die Lunge zu blasen, was aber nicht ging. Beide Lungen belüftet, Röntgenthorax unauffällig, die Thoraxdrainage durchgängig wollte ich schon bronchoskopieren, als ihr der rettende Einfall kam. Ein bischen Handbebeuteln und die Beatmungsmaschine neugestartet und siehe da: alles gut. Ich frage mich ob das Betreibssystem der EVITA von Microsoft geschrieben wurde. Jetzt muss ich warten. Alles gemacht. Beatmung gerichtet, Volumen drangehängt, Fiebersenker drin, Arterenol dran und Sedierung läuft. Ich schau erst mal nach meinen anderen 3.

Außer dem Patienten auf Platz 3 habe ich noch 3 Patienten zu betreuen, die anderen 5 gehören zu Inneren Abteilung, darum darf sich mein internistischer Kollege kümmern. Alle meine Patienten sind intubiert oder tracheotomiert. Mal sehen was das für mich bedeutet.

Die eine wurde intraoperativ reanimiert, auf Intensiv dann noch zweimal. Jetzt ist sie kreislaufstabil wird aber nicht wach. Hämoglobingehalt im Blut bei 8,3. Der Oberarzt will eigentlich nicht transfundieren, ich schon. Der Oberarzt ist zu Hause, ich hier. Die Patientin kriegt die 1 Konserve, die noch da ist. Mal sehen was ich morgen früh bei Visite zu hören kriege. Morgen CT vom Kopf. Mal sehen was vom Gehirn noch übrig ist. Manchmal geschehen auch Wunder. Die Schwester holt die Konserve aus dem Labor und legt sie mir zusammen mit dem Transfusionssystem, dem Bedside-Test-Kärtchen und den ganzen Zetteln hin. Ich teste, kontrolliere, fülle aus und hänge an. Nachdem die Konserve dranhängt gibt es hier nichts mehr zu tun.

Die nächste hatte ein entzündetes Knie, wurde operiert und wurde septisch. Jetzt ist die Wunde unauffällig und das Herz erledigt seine Aufgabe wieder wunderbar. Nur kommt sie jetzt von der Beatmungsmaschine nicht weg. Nach 4 erfolglosen Extubationversuchen wurde sie am Montag tracheotomiert. Man hat endlich eingesehen, dass nicht schnell geht. Sie braucht die Maschine zum atmen. Das wird ein langer weg, bis sie wieder alleine luftholen kann. Wie lange weis keiner und ob sie jemals ankommt auch nicht. Für mich ist hier nichts zu tun.

Das letzte meiner Schäfchen, die ich heute Nacht hüten darf ist, ebenfalls eine ältere Damen (wie fast immer) mit einer Darmoperation. Dann postoperatives Nierenversagen bei Sepsis. Hämofilter dran, Niere kommt wieder, Hämofilter ab, Niere will erst, dann will sie wieder nicht mehr. Seit gestern wieder Hämofilter dran bis heute um 16h00 Uhr, jetzt Pause bis morgen. Muss ich nicht verstehen. Die Frau ist aufgedunsen wie ein Ballon, Wasserentzug täte ihr gut. Nierenwerte im Blut sind besser, Beatmung besser aber nicht gut. Zuviel Wasser auf der Lunge, ist meine Meinung. Ich tue was der Oberarzt für richtig hält. Die Patientin quält sich an der Beatmung. Hohe Atemfrequent, hocher Blutdruck, schnelles Herz. Ich habe am Montag schon alles ausprobiert, aber es geht nicht besser. Die Lunge ist steif vom Wasser. Mehr geht da nicht rein. Auch hier kann ich nichts tun. Kann nicht helfen, nur warten.

Jetzt 2h nach Dienstanfang alle stabil. Der Mann auf Platz 3 ebenso wie die anderen 3. Von den chirugischen Kollegen hat sich noch keiner gemeldet und auch die Gynäkologen verhalten sich auffallend still. Naja es sind ja noch 11h bis Dienstschluss. Aber man darf ja hoffen.

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